Zur Architektur der Neuen Synagoge zu Dresden

Architekten:
Wandel, Hoefer, Lorch + Hirsch aus Saarbrücken/ Frankfurt a. M. 


Vorgeschichte 

Für den mehrfach preisgekrönten Bau der Neuen Synagoge zu Dresden engagierten sich seit Mitte der 90er Jahre viele Organisationen, Institutionen und Persönlichkeiten. Initiiert und maßgeblich getragen vom 1996 gegründeten Förderverein „Bau der Synagoge Dresden“ e.V., wurde der Bau vom Freistaat Sachsen und der Landeshauptstadt Dresden umfassend unterstützt und löste zugleich eine große Spendenbereitschaft in der Dresdner Bevölkerung aus. 

Im Februar 1997 lobte die Sächsische Staatsregierung gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde zu Dresden einen europaweiten Architektenwettbewerb aus, zu dem 57 Beiträge von renommierten Architekten eingereicht worden waren. Eine Jury entschied sich für die Vergabe von zwei ersten Preisen und einem dritten Preis sowie für den Ankauf von drei Entwürfen.

Die Wahl der Jüdischen Gemeinde zu Dresden fiel schließlich auf den dritten Preis, den Entwurf der Architekten Wandel, Hoefer, Lorch + Hirsch aus Saarbrücken/ Frankfurt a. M. Zwischen 1998 und 2001 wurde dieser Entwurf in die Tat umgesetzt. Am 9. November 2001, dem 63. Jahrestag der Zerstörung der Semperschen Synagoge in der Reichspogromnacht, wurde die Neue Synagoge zu Dresden geweiht.


Bauidee und städtebauliche Einordnung

In Dresden hat eine doppelte Zerstörung stattgefunden: jene der Semperschen Synagoge am 9. November 1938 und jene der Dresdner Altstadt am 13./ 14. Februar 1945. Die Zerstörungen sind zwar historisch miteinander verknüpft, die Reaktion auf das Verschwinden der Bauten könnte jedoch kaum unterschiedlicher sein. Mit der Rekonstruktion der Frauenkirche und anderer, tief im kollektiven Gedächtnis verwurzelter Bauten wird der Versuch unternommen, die Kontinuität zwischen Vergangenheit und Gegenwart wiederherzustellen. Die räumlichen Zäsuren der Zerstörungen, die Geschichte sichtbar machen, verschwinden.

Die Rekonstruktion ungebrochener Kontinuität erscheint im Fall der Neuen Synagoge mehr als fragwürdig. Zu groß ist der historische Bruch, zu ambivalent die Bauaufgabe „Synagoge“ als solche. Die Neue Synagoge zu Dresden steht vielmehr im Spannungsfeld zwischen Stabilität und Fragilität, zwischen dauerhaften und provisorischen Zuständen, zwischen Massivität der äußeren Hülle und fragilem Gewebe im Innern. Dort, wo von der einstigen Gemeinde nichts mehr geblieben ist, setzt sie der ersehnten Rückkehr zur „Normalität“ für immer Grenzen. Hätte man die Sempersche Synagoge wieder aufgebaut, dann wäre vielleicht der Eindruck entstanden, als hätte es den 9. November 1938 nicht gegeben und, was für die Jüdische Gemeinde zu Dresden viel schwerer wiegt, als hätte es den Holocaust nicht gegeben, dem letztlich fast die gesamte Gemeinde zum Opfer gefallen ist.

Die Sempersche Synagoge ist spurlos verschwunden. Das Gebäude wurde, wie in einem Lehrfilm der Technischen Nothilfe dokumentiert, in den Tagen nach dem 9. November 1938 „fachgerecht“ abgetragen, die Steine verkauft und im Straßenbau verarbeitet. Durch die umfangreichen Verkehrsbauten der Nachkriegszeit veränderten sich auch Zuschnitt und Topographie des Grundstücks am Hasenberg. Am östlichen Rand der Dresdner Altstadt, gegenüber der Brühlschen Terrasse gelegen, entstand ein Reststück – kaum mehr als eine lang gestreckte Böschung. Die Neue Synagoge und das Gemeindezentrum stehen nun an der Brühlschen Terrasse, dort, wo sie im Osten am Belvedere des Brühlschen Gartens und am ehemaligen „Gondelhafen“ ihren Abschluss hat. Der Gebäudekomplex zeigt sich somit unmittelbar neben Dresdens berühmter Stadtsilhouette - zwischen Hasenberg und St. Petersburger Straße bzw. an der Rampe zur Carolabrücke, die zur Neustadt hinüberführt.


Architektur der Neuen Synagoge und des Gemeindezentrums

Der Entwurf der Architekten reagierte auf die Bedingungen mit zwei autonomen Baukörpern, welche die ganze Länge des verbliebenen Grundstücks ausnutzen und damit vom integrierten Typus des Gemeindezentrums abweichen. Ein zentraler Innenhof bringt die unterschiedlichen Nutzungen von Neuer Synagoge und Gemeindezentrum in einen räumlichen Zusammenhang. Der materiale Zusammenhang wird durch das einheitliche Material des Formsteins hergestellt. 

Die Neue Synagoge ist ein Raum der Konzentration, des Gebets und der Andacht, dessen Volumen sich auf die Elbe bezieht und damit in die Silhouette Dresdens einreiht. Der Standort der am 9. November 1938 zerstörten Semperschen Synagoge wird im Innenhof zwischen Neuer Synagoge und Gemeindezentrum mit dem nachgezeichneten Grundriss sichtbar gemacht. Das Gemeindezentrum wiederum bezieht sich auf die Altstadt und bildet eine neue Eingangssituation am Dresdner Altstadtring.

Wenn die Neue Synagoge der eher introvertierte Mittelpunkt jüdischen Lebens in Dresden ist, so verbindet sich mit dem Gemeindezentrum die Möglichkeit, an der exponierten Stelle des historischen Standortes eine Schnittstelle zwischen der Jüdischen Gemeinde und der städtischen Öffentlichkeit zu bilden. Das Gemeindezentrum öffnet sich mit seiner verglasten Nordfassade zum Innenhof und gewährt mit seinen 39 Fenstern – einem Guckkasten vergleichbar – einen Einblick in sein Innenleben.


Der Innenraum der Neuen Synagoge


In Analogie zu Tempel und Stiftszelt als den beiden architektonischen Grunderfahrungen des Judentums ist die Neue Synagoge geprägt durch den Gegensatz zwischen dauerhaften und provisorischen Zuständen: einerseits die Massivität der äußeren Hülle, andererseits ein fragiles Gewebe im Inneren. Aus der orthogonalen Geometrie des Grundstücks heraus verdreht sich der Baukörper der Neuen Synagoge, ein 24 Meter hoher Kubus, kontinuierlich in 35 Schichten nach Osten – eine Orientierung im wörtlichen Sinn. Damit wird im Innenraum auch die vorgeschriebene Ausrichtung der Thoraschrainwand nach Jerusalem gewährleistet.
Die monolithische Außenwand besteht aus ca. 3.000 Betonformsteinen, die sich aufgrund ihrer natürlichen Zuschlagstoffe und Oberflächenstrukturen in den Kontext der Dresdner Altstadt und seiner Elbsandsteinbauten einfügen und über einen sandsteinfarbenen Charakter verfügen.

Im Innenraum ist die Verdrehung des Quaders ebenfalls wahrzunehmen, da auf eine Verkleidung verzichtet wird. Sämtliche Aussparungen für die Installation und Entwässerung sind in die sandsteinfarbenen Betonformsteine integriert. Im Gegensatz zur Massivität des verdrehten Baukörpers ist der innere Raum durch ein Textil geprägt, das an das Motiv des transportablen Gotteshauses anknüpft, dem so genannten Stiftszelt. Vom Deckenrost in einer Achse abgehängt, bildet es den eigentlichen rituellen Raum. Aufgrund des Verbotes gegenständlicher Darstellungen kommt der Webstruktur des bronzenen Metalltextils eine besondere Bedeutung zu: Sie basiert auf der Geometrie des Davidsterns, ist also nicht applizierter Zusatz, sondern integraler Bestandteil der Konstruktion.

Im eigentlichen rituellen Raum, in dem sich die Gemeinde unter anderem zum Gottesdienst versammelt, nehmen sich die Quader zurück, alles konzentriert sich auf den eingestellten, nach Osten orientierten Holzbau, einem komplexen Großmöbel, bestehend aus einer Plattform mit den Sitzbänken, dem Almemor (dem Lesepult), den Aufbauten im Osten (Thoraschrainwand) und im Westen (Empore). Dieses Großmöbel mit breitem Umgang wird überwölbt von der durchscheinenden Zelthülle aus einem »gestrickt« wirkendem goldfarben schimmernden Metallgeflecht (Tombak).

Der Besucher betritt den Innenraum allerdings in der Regel nicht seitlich, sondern traditionell von Westen aus. Viele Details des dunkel geölten Eichenholz-Großmöbels – von den Klappbrettern und den kleinen Fußschemeln der Bänke bis zu den zahlreichen Wandöffnungen – lassen sich, bündig eingepasst, auf einfache, elementare Kuben zurückführen. Auch die zwei Türen des Thoraschrains sind bündig in den Aufbau der Ostwand eingebettet, heben sich aber durch Holzeinlegearbeiten hervor. Der westliche Holzaufbau ist breiter ausgefallen und trägt die Empore, wo drei Bankreihen stehen. In diesem Block liegen links und rechts vom Eingang die Treppen, die Nische für das rituelle Händewaschen und ein Technikraum mit Gardarobe verborgen. Im Untergeschoss der Neuen Synagoge befinden sich Funktionsräume. Außerdem sind hier bereits alle Vorkehrungen für die Fertigstellung eines rituellen Tauchbads (Mikwe) getroffen.

Weitere Informationen und Fotos der Synagoge finden Sie HIER

Die Architekten Wandel Hoefer Lorch + Hirsch erhielten für die Neue Synagoge mehrere Preise:

World Architecture Award 2001: Bestes neues Bauwerk in Europa
Verliehen von der in London erscheinenden Zeitschrift „World Architecture“ gemeinsam mit dem Königlichen Institut Britischer Architekten

»Die Dresdener Synagoge sei tief in der Geschichte der Stadt verwurzelt, begründete die Chefredakteurin von "World Architecture", Naomi Stungo, die Auszeichnung. Das einstige Gotteshaus von Gottfried Semper war bei den Pogromen am 9. November 1938 von den Nazis niedergebrannt worden. "Das neue Bauwerk zollt diesen Ereignissen Tribut - der nach oben sich verwindende Quaderblock wurde am ursprünglichen Standort errichtet und scheint in die Zukunft zu weisen", sagte Stungo.«

Kritikerpreis für Architektur 2001
Verliehen vom Verband der Deutschen Kritiker e.V.

In der Verleihungsurkunde zum Kritikerpreis heißt es: „Der Name dieses jungen Büros ... ist mit eindrücklichen Erinnerungsprojekten verbunden. Die Arbeiten der Gruppe beziehen sich in besonderer Weise auf den Kontext der deutsch-jüdischen Geschichte. Der Kritikerpreis gebührt ihnen für ihren Neubau der Synagoge in Dresden.”

Zweiter Preis des Deutschen Architekturpreises 2003
Verliehen vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und der Bundesarchitektenkammer in Kooperation mit E.ON RUHRGAS AG


Quelle: Freundeskreis Dresdner Synagoge (Hrsg.): Die Neue Synagoge Dresden. Dresden 2003.